Seien und metrische Räume. Eine Abbildung
ist Lipschitz-stetig mit Faktor
wenn
für gilt:
Sei ein normierter -Vektorraum mit Norm . Wir nehmen an, dass der Vektorraum endlicher Dimension ist, oder allgemeiner, dass der normierte Raum vollständig ist.
Sei eine offene Teilmenge in . Ein Vektorfeld auf
ist eine Abbildung . Zu jedem Vektorfeld und jedem vorgegebenen
Punkt
aus dem Definitionsbereich des Vektorfeldes
ist eine
Differentialgleichung definiert. Die Differentialgleichung zu dem Vektorfeld
und ist ein Gleichungssystem für Paare mit
und wobei eine differenzierbare
parametrisierte Kurve
ist. Die Gleichungen des Systems
sind:
Beispiel : Sei normiert mittels des Absolutbetrags . Sei und sei das Vektorfeld . Die parametrisierte Kurve ist eine Lösung der Differentialgleichung zu dem Vektorfeld und dem Punkt . Eine differenzierbare parametrisierte Kurve ist natürlich nichts anderes als eine differenzierbare Funktion auf . Die Differentialgleichung dieses Beispiels schreibt sich für die Funktion um in: und
Für jedes ist das Paar , wobei die Einschränkung von ist, eine Lösung der Differentialgleichung des obigen Beispiels.
Beispiel : Das Paar mit löst die Differentialgleichung zu dem Vektorfeld , und dem Punkt . Tatsächlich gilt: und .
Man kann nun die Frage stellen, ob es hier auch für beliebig gross gewähltes Lösungen der Form gibt. Eine einfache Überlegung zeigt, dass für kein Lösungspaar existieren kann.
Wäre nämlich ein Lösungspaar ,
dann
wäre
monoton wachsend, da
gilt. Somit wäre
monoton wachsend und es gälte
für
die Abschätzung
Beispiel : Sei das Vektorfeld , wobei die Standardbasis des Raumes bilden und die Koordinatenfunktionen durch festgelegt sind. Die Kurven sind Lösungskurven mit der Differentialgleichung zum Vektorfeld .
Für Differentialgleichungen, die von Lipschitz-stetigen Vektorfeldern her stammen, garantiert folgender Satz die Existenz und in gewissem Sinne auch die Eindeutigkeit von Lösungspaaren.
Beweis:Wir bestimmen vorerst ein und . Sei offen, so dass für ein die Einschränkung von auf Lipschitz-stetig mit Faktor ist. Sei nun so gewählt, dass für mit gilt . Anders gesagt, wählen wir so, dass in die Kugel mit Zentrum und Radius in der offenen Teilmenge enthalten ist. Weiter sei so gewählt, dass und gelten. Es folgt für die Abschätzung und somit und .
Wir definieren rekursiv parametrisierte Kurven
, wie folgt:
Die Kurve ist die konstante Kurve . Für
wird
durch
Es gilt und
Die Kurven sind differenzierbar. Es gilt
Wir untersuchen nun die ``Konvergenz'' der Folge . Was bedeutet hier ``Konvergenz''? Eine mögliche Auslegung der zu untersuchenden Konvergenz ist für jedes fest gewählte die Konvergenz in der Folge .
Beweis:Wir definieren
.
Weiter definieren wir für
den Wert
Für
sei
, so dass gilt
. Dann gilt für
mit
die Abschätzung:
Wir definieren durch . Wir zeigen nun, dass das Paar ein Lösungspaar der Differentialgleichung zum Vektorfeld und Punkt ist.
Es gilt offensichtlich . Für jedes
schreiben wir eine Dreigliedentwicklung:
Vorerst zeigen wir, dass das Restglied relativ klein in ist und zwar quadratisch klein in mit einer Abschätzung, die unabhängig von und ist.
Für gilt
. Es folgt
, da
die Integration über
läuft und
der Integrand die Abschätzung
erfüllt. Somit gilt
In der obigen Dreigliedentwicklung für
wenden wir
Glied für Glied den Grenzwert
an und erhalten
Seien und zwei Lösungspaare mit und . Wir nehmen an und definieren . Die Menge ist beschränkt, aber es ist nicht klar, ob zutrifft, (siehe Beispiel ).
Beweis:Wir behalten die Notationen bei, wie sie oben eingeführt wurden. Wähle derart, dass gilt: und für . Eine solche Wahl für ist möglich, da an der Stelle stetig sind.
Sei
.
Für gilt
Die Eindeutigkeit, die zu zeigen war, ist also äquivalent zu der Aussage: .
Wir führen die Annahme zum Widerspruch. Da , folgt aus der Stetigkeit von und an der Stelle und aus die Gleichheit . Setze nun und wähle offen mit derart, dass Lipschitzfaktor für die Einschränkung von auf ist. Wie vorher gezeigt, erhalten wir die Existenz eines so, dass und für gilt. Dies steht aber im Widerspruch zur Definition von .
Beispiel : Ein Vektorfeld heisst linear, wenn es durch eine lineare Abbildung gegeben ist. Die Differentialgleichung zu einem linearen Vektorfeld auf einem endlichdimensionalen -Vektorraum und zu einem Punkt hat bekanntlich die Lösungskurve , wobei . Ein lineares Vektorfeld auf einem endlichdimensionalem normierten -Vektorraum ist Lipschitz-stetig. Der Lipschitzfaktor von ist die Operatornorm .
Der Satz liefert nun zusätzlich, dass diese Lösungskurve die einzige Lösungskurve mit Parameterbereich ganz ist. Es ist instruktiv, sich klar zu machen, dass die polynomiale Kurvenfolge genau der Kurvenfolge in unserem Beweis entspricht.
Beispiel : Gewöhnliche Differentialgleichungen der Form
Der Satz besagt nun, dass für eine beliebige Vorgabe der Werte von an der Stelle die gewöhnliche Differentialgleichung genau eine Lösung hat. Die Tatsache, dass die Existenz genau einer Lösung mit den vorgegebenen Anfangswerten schon bekannt ist, erleichtert natürlich die Suche der Lösung. Das lädt dazu ein, aus der Trickkiste Lösungen zu konstruieren. Einsichten über die Ausdehnungslehre von Wellen von Christiaan Huygens, geb. am 14. April 1629 in 's Gravenhage, und eine geschickte Methode von Oliver Heaviside, geb. am 18. Mai 1850 in London, können uns weiterhelfen.
Zur Illustration werden wir die gewöhnlichen Differentialgleichungen
für eine -mal differenzierbare Funktion
der Form
Sei mit das Polynom notiert, dann lässt sich die Differentialgleichung knapper schreiben: .
Sei
die Lösung
des Systems
und
die Heavisidesche Funktion
zu
. Dann ist
Hier Beispiele. Wir beginnen mit der Gleichung , wobei ist. Nun ist die konstante Funktion mit Wert und die konstante Funktion mit Wert . Wir erhalten als Lösung. Die Heavisidefunktion dieses Beispiels ist die sogenannte Funktion von Heaviside und .
Sei . Wir erhalten und . Für ein löst die Gleichung , wobei gegeben ist.
Zum Beispiel sei . Dann löst für die Funktion die Gleichung mit . Für gilt und für gilt . Die Pille wirkt nach, auch für ! Modelliere Wachstum mit Wachstumspillen. Was passiert, wenn Stunden später noch eine Pille , die -mal länger aber mit gleichviel Wirkstoffen wirkt, verabreicht wird?
Sei die Menge der stetigen Funktionen auf , für die ein existiert, derart dass für der Wert gleich Null ist. Die Addition von Funktionen ist eine interne binäre Verknüpfung auf . Gilt , dann ist eine Funktion . Das Tripel der Menge mit den Verknüpfungen ist wie das Tripel eine -Algebra. Die Abbildung verwandelt die Multiplikation auf in das -Produkt auf . Es gilt .
Da jedes Polynom in lineare Faktoren und quadratische Faktoren faktorisiert, müssen wir noch für Polynome wie bestimmen. Es gilt nun: . Für ein Polynom mit Hauptkoeffizient und Faktorisierung in Faktoren oder erhält man , wobei bekannt ist.
Frage: Kann man die Abbildung auf ganz zu einem Algebrahomomorphismus von nach fortsetzen? Zeige, wenn ja, dass gilt. Gilt ? Will man diese Erweiterung erzwingen, dann wird man die sogenannte Diracsche ``Funktion'' entdecken.
Aufgabe 1. Sei Berechne .
Paul Appell, geb. in Strassburg 1855, schlägt folgende Lösungsmethode vor. Aus folgt rein durch formales Rechnen, dass Lösung der Gleichung ist.
Wenden wir diese Idee zunächst einmal auf an. Wir erhalten und tatsächlich gilt .
Nun probieren wir
mit
. Wir erhalten
Für jede Funktion mit für ein gilt tatsächlich, dass die Summe nur endlich viele nicht verschwindende Terme hat und dass die Gleichung löst.
Nun stellt sich die Frage: Für welche Funktionen ist die Summe konvergent und im welchem Sinne ist die Konvergenz zu deuten? Wir werden hier diese Fragen nicht beantworten.
Aufgabe 2. Finde eine Funktion , die die Gleichung erfüllt.
Aufgabe 3. Gesucht ist eine Kurve mit und . Man zeige zunächst, dass die gesuchte Kurve in einer Ebene verläuft.
Aufgabe 4. Sei der Euklidische -dimensionale Raum. Gesucht ist eine Kurve mit und . Man zeige zunächst, dass die gesuchte Kurve in einer Ebene verläuft.
Aufgabe 5. Gesucht sind Kurven
mit
Aufgabe 6. Gesucht sind Kurven
mit
Ausblicke: Das Studium von Differentialgleichungen ist
Teil der Naturwissenschaften, seitdem
Isaac Newton, geb. am 4. Januar in Woolsthorpe bei
Grantham, seine Axiome für die Mechanik formulierte.
Augustin Louis Baron Cauchy, geb. am 21. August in Paris,
hat mit seinen Arbeiten die Theorie der
Differentialgleichungen vorangebracht. Lazarus
Immanuel Fuchs, geb. am 5. Mai 1833 in Moschin bei Posen, hat den
``Zeit''-parameter als komplexe Zahl aufgefasst; seine Theorie hat
die algebraische Geometrie und Zahlentheorie entscheidend beeinflusst. Die
Theorie der
pseudo-holomorphen Kurven in der symplektischen Geometrie,
die Mikhael L. Gromov, geb. am 23. Dezember 1943 in Boksitogorsk,
gegründet hat,
ist von grösster Bedeutung für
die symplektische Topologie, Topologie in niederen Dimensionen,
abzählende Geometrie und
für die Quantummechanik, siehe
http://www.balzan.it/english/gromov/pb1999/discorso.htm
Anhang: Integralabschätzung. Für ein Integral
mit stetigem Integranden
gilt die Abschätzung
Allgemeiner gilt für ein
Integral
mit stetigem Integranden
, wobei ein
normierter endlichdimensionaler
-Vektorraum mit Norm ist,
die Integralabschätzung
Denn für eine Linearform
mit Operatornorm
und
den Integranden
gilt
die Abschätzung: