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Algorithmische Topologie

Lektion 9. Ein Algorithmus zur Erkennung der 3-Sphäre (Fortsetzung).

9.1 Aufschneiden längs 2-normaler Sphäre.

Seien $\xi$ eine Henkelzerlegung einer 3-Mannigfaltigkeit $M$, und $F$ eine 2-normale Fläche in $M$. Schneiden wir $M$ längs $F$ auf. Wir bekommen eine neue 3-Mannigfaltigkeit $M_F$. Da $F$ jeden Henkel in Henkel von demselben Index aufschneidet, induziert $\xi$ eine Henkelzerlegung $\xi_F$ von $M_F$.

Lemma 9.1. $c(\xi_F)=c(\xi)$.

Beweis. Da $F$ 2-normal ist, geht $F$ nicht durch Balken mit Valenz $< 2$. Sei $B$ ein Balken der Valenz $v(B)\geq 2$, der mittels $k$ Streifen $F\cap B$ in $k+1$ Balken $B_i, 0\leq i\leq k$ aufgeschniffen ist. Dann gilt:

  1. $v(B)=\sum_0^kv(B_i)-2k\Longrightarrow$
  2. $v(B)-2=\sum_0^k(v(B_i)-2)$, wobei $v(B_i)-2 \geq 0$ sind $\Longrightarrow$
  3. $c(B)=\sum_0^kc(B_i)$.

9.2. Aufschneiden und Durchlöchern.

Seien $M$ ein Homologieball mit einer reduzierten Henkelzerlegng $\xi$ und $S\subset M$ eine 2-normale Sphäre. Dann besteht $M_S$ aus zwei Teilen: einem Homologieball $M_1$ und einer 3-Mannigfaltigkeit $M_2$, die zu $S^2\times I$ homologisch äquivalent ist. Wir finden in $M_2$ eine Platte $P=D^2\times I$, so daß  $\partial D^2\times \{ 0\}$ und $\partial D^2\times \{ 1\}$ in verschiedenen Randkomponenten von $M_2$ liegen. Wenn wir $P$ enfernen (d.h. $M_2$ durchlöchern), bekommen wir zwei Homologiebälle, die dann und nur dann echt sind, wenn $M$ ein echter Ball ist. Nach der Reduzierung (9.2) bekommen wir eine endliche Menge von Homologiebällen $M'_1, \ldots, M'_n$. Die so bekommene Henkelzerlegung von $\cup_iM'_i$ wird mit $\xi'$ bezeichnet.

Satz 9.1.

  1. $M$ ist ein echter Ball $\Longleftrightarrow $ alle $M'_i$ sind echte Bälle;
  2. $c(\xi')\leq c(\xi)$;
  3. Nehmen wir an, daß $S$ nicht randparallel ist (d. h. $M_2$ mindestens einen Balken der Valenz $\geq 3$ enthält). Dann ist $c(\xi')$ kleiner, als $ c(\xi)$.

Beweis. Offensichtlich, da bei der Reduzierung mindestens ein Balken, der Valenz $\geq 3$ in einen Balken von kleinerer Valenz verwandelt wird.

9.3. Rubinstein-Thompson Theorem und der Algorithmus.

Eine Henkelzerlegung heißt nicht-trivial, wenn sie aus mehr als einem Henkel besteht. Die triviale Zerlegung besteht aus einem Ball (keine Balken und Platten sind vorhanden).

Satz 9.2. In jeder nicht-trivialen reduzierten Henkelzerlegung eines echten Balls gibt es eine nicht-randparallele 2-normale Sphäre.

Nehmen wir an, daß dieser Satz richtig ist. Dann kann man den Erkennungsalgorithmus leicht konstruieren: wir zerlegen den gegebenen Homologieball $M$ in Henkel. Dann reduzieren wir die Henkelzerlegung und verwenden die Transformationen des Aufschneidens und Durchlöcherns solange möglich. Der Prozess iet endlich, da jeder Schritt die Kompliziertheit der Zerlegung vermindert. Falls wir zu einer Menge von trivial zerlegten Bällen kommen, dann ist $M$ ein echter Ball. Falls der Prozess früher versagt, ist $M$ von dem echten Ball verschieden.

Um Satz 9.2 zu beweisen, brauchen wir eine Abschweifung.

9.4. Dünne Lage von Verkettungen.

Sei $R^3_-$ der untere Halbraum von $R^3$. Eine Verkettung $L$ in $R^3_-$ ist eine Vereinigung von disjunkten properen Bögen. Eine Ebene $R_a=\{(x,y,z)\in R^3\colon z=a\}$ heißt singulär (bezüglich $L$), wenn $L$ nicht transversal zu $R_a$ ist. $L\subset R^3_-$ ist in allgemeiner Lage, wenn das folgende gilt:

  1. Es gibt nur eine endliche Anzahl von singulären Ebenen;
  2. Jede singuläre Ebene berührt genau einen Punkt der Verkettung nicht transversal, und dieser Punkt ist entweder ein lokales Maximum oder ein lokales Minimum (bezüglich der auf $L$ eingeschränkten Höhenfunktion $h\colon R^3_-\to R$, die durch die Formel $h(x,y,z)= z$ gegeben ist).

Seien $L\subset R^3_-$ eine Verkettung in allgemeiner Lage und $R_{x_1}, \ldots R_{x_k}$ die singulären Ebenen. Die Menge aller Intervalle in $L\setminus (L\cap(\cup_iR_{x_i}))$ wird mit $I(L)$ bezeichnet.

Definition. Die Weite $w(L)$ von $L$ ist die Anzahl von Intervallen in $I(L)$, d.h. $w(L)=\char93  I(L)$. Siehe Fig. 1a.

Figure: Zu a: Diese Verkettung hat die Weite 8. Zu b: $D$ ist die obere komprimierende Scheibe. Zu c: $w(L')\leq w(L)$.
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2750,1000)
\put(0,1000){\special{em:graph odin.pcx}}
\end{picture} %%\label{elmovsf}
\end{figure}

Die Weite $w(L)$ kann durch Isotopie von $L$ geändert werden. $L$ ist in dünner Lage, wenn unter allen zu $L$ isotopen Verkettungen $L$ die minimale Weite hat.

Definition. Seien $L$ eine Verkettung in allgemeiner Lage und $R_a$ eine reguläre Ebene. Eine Scheibe $D\subset R^3_-$ heißt eine obere komprimierende Scheibe für $L$, wenn das folgende gilt:

  1. $\partial D\subset L\cup R_a$;
  2. $\partial D$ besteht aus zwei Bögen $\alpha \subset L$ und $\beta \subset R_a$ ($\beta $ heißt Basisbogen);
  3. der Kragen von $\beta $ in $D$ liegt höher alo $R_a$.

Die Definition einer unteren komprimierenden Scheibe ist analog.

Lemma 9.2. Nehmen wir an, daß $L$ eine obere bzw untere komprimierende Scheibe $D$ (bezüglich $R_a$) zuläßt. Sei $\alpha' \subset D, \partial \alpha'=\partial \alpha$, ein Bogen, der nur ein lokales Maximum bzw lokales Minimum enthält, so daß es zwischen den Ebenen $R_{a'}$ und $R_a$ keine weiteren singulären Ebenen gibt ($a'$ ist der Höhenwert des Maximums bzw Minimums). Dann ist $w(L')$ nicht größer als $w(L)$, wobei $L'=(L\setminus \alpha )\cup \alpha'$. Sieh Fig. 1c.

Beweis. Wir zerlegen die Menge $I(L)$ in zwei Teile $I_1(L)=\{\gamma \in I(L)\colon \gamma\cap \alpha=\emptyset \}$ und $I_2(L)=\{\gamma \in I(L)\colon \gamma\cap \alpha\neq \emptyset \}$. Die Menge $I(L')$ besteht auch aus zwei Teilen $I_1(L')=\{\gamma \in I(L')\colon \gamma\cap \alpha'=\emptyset\}$ und $I_2(L')=\{\gamma \in I(L')\colon \gamma\cap \alpha'\neq \emptyset\}$.

Es gibt eine surjektive Abbildung $\varphi \colon I_1(L)\to I_1(L')$, die durch die Bedingung $\varphi(\gamma)=\gamma' \Longleftrightarrow \gamma\cap \gamma'\neq \emptyset$ definiert ist. Daraus folgt $\char93  I_1(L)\geq \char93  I_1(L')$. Da $I_2(L)$ mindestens zwei und $I_2(L')$ genau zwei Intervalle enthält, bekommen wir $\char93  I_2(L)\geq \char93  I_2(L')$ und damit $w(L)\geq w(L')$.

Es sei bemerkt, daß jede nicht-triviale Verkettung sowohl eine obere als auch eine untere komprimierende Scheibe zuläßt.

Definition. Eine obere und eine untere Scheibe $D_1, D_2$, die sich auf dieselbe Ebene $R_a$ stützen, bilden ein unabhängiges Paar, wenn ihre Basisbögen $\beta_1, \beta_2$ keine gemeinsamen inneren Punkte haben.

Lemma 9.3. Eine Verkettung $L$ in dünner Lage läßt keine unabhängigen Paare zu.

Beweis. Nehmen wir an, daß $L$ ein unabhängiges Paar $D_1, D_2$ von komprimierenden Scheiben zuläßt. Dann verwenden wir Lemma 9.2 zweimal, um $L$ durch eine isotope Verkettung $L'$ zu ersetzen. $L'$ läßt zwei komprimierende Scheiben zu: eine obere Scheibe $D_1'$ und eine untere Scheibe $D_2'$, wobei $\partial D_i'$ aus den Bögen $\alpha_i', \beta_i'$ besteht. Falls $\beta_1'\cap \beta_2'=\emptyset $, stellen wir das Maximum von $\alpha_1'$ mit das Minimum von $\alpha_2'$ durch Isotopie von $L'$ um und vermindern damit $w(L')$. Falls $\beta_1'\cap \beta_2'\neq \emptyset $, dann besteht $\beta_1'\cap \beta_2'$ aus einem gemeinsamen Endpunkt von $\beta_1', \beta_2'$. Wir vernichten das Maximum und das Minimum mit demselben Resultat. Siehe Fig. 2a. Da $w(L')$ nicht größer als $w(L)$ ist, haben wir somit einen Widerspruch zur Voraussetzung bekommen.

9.5. Invertierte Zylinder.

Sei $L$ eine Verkettung in $R_-^3$. Ein Zylinder $Z$ für $L$ ist das Bild einer Einbettung $\varphi \colon D^2\times I\to R_-^3$, so daß das folgende gilt:

  1. Die obere Basis $\varphi (D^2\times \{ 0 \}) $ von $Z$ liegt in $\partial R_-^3$ und enthält alle Endpunkte von $L$;
  2. $ L\cap Z$ hat die Form $\varphi (D^2\times X)$, wobei $X$ eine endliche Menge in $D^2$ ist. In anderen Worten, $ L\cap Z$ besteht aus Erzeugenden des Zylinders.
Man kann sich den Zylinder immer sehr dünn vorstellen.

Die Krone $K(L,Z)$ von $L$ ist durch die Formel $K(L,Z)=(L\setminus (L\cap Z))\cup \varphi(D^2\times \{ 1 \}) $ gegeben, wobei $\varphi(D^2\times \{ 1 \}) $ die untere Basis von $Z$ ist. Seihe Fig. 2b.

Figure: Zu a: Verminderung der Weite durch Isotopie. Zu b: Der Zylinder und die Krone. Zu c: $Z$ ist läßt sich durchdringen.
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2750,1000)
\put(0,1000){\special{em:graph kronef.pcx}}
\end{picture}\end{figure}

Beschreiben wir zwei Transformationen von Verkettungen mit dem Zylinder. Die erste Transformation $T_1$ schiebt einen Bogen aus der Krone durch $Z$. Die zweite Transformation $T_2$ schiebt einen Teil von $Z$ durch einen anderen Teil von $Z$. Beide Transformationen sind fix außerhalb eines Balles, der die betrachteten Fragmente enthält.

Lemma 9.4. Beide Transformationen lassen sich durch Isotopien von $(L, Z)$ realisieren.

Beweis. Betrachten wir $T_1$. Seien $B\subset R^3_-$ ein großer Ball, der zu $\partial R^3_-$ längs einer Scheibe anliegt und der $L$ enthält. Wählen wir einen konzentrischen Ball $B'\subset B$, so daß  $B'\supset L$ und $\partial B'$ sehr nah zu $\partial B$ liegt. Bohren wir von $B'$ einen Teil $\varphi(D^2\times [0, t]) $ von $Z$ aus, so daß  $\varphi (D^2\times \{ t\}) $ in dem Ball, wo die Transformation ausgeführt wird, enthaltet ist. Der bekommene Ball wird mit $Y$ bezeichnet. Wir können annehmen, daß der bewegende Bogen vor und nach der Transformation mit dem Bogen $l_-=\varphi (\partial _-D^2\times \{ t\})$ bzw $l_+=\varphi (\partial _+D^2\times \{ t\})$ identisch ist, siehe Fig. 3a. Da der Kreis $\varphi (\partial D^2\times \{ t\})=l_-\cup l_+ \subset \partial Y$ eine Scheibe in $\partial Y$ disjunkt zu $L$ berandet, läßt sich $T_1$ durch eine Isotopie von $L$ realisieren.

Im Fall der Transformation $T_2$ taugt derselbe Beweis.

Lemma 9.5. Seien $Z, Z'$ die Zylinder für zwei Verkettungen $L,L', \partial L=\partial L'$, so daß $K(L,Z)$ und $K(L',Z')$ isotop sind. Dann sind $L,L'$ auch isotop.

Beweis. Wir können annehmen, daß die Kronen identisch sind. Es gibt dann eine Folge von Transformationen $T_1^{\pm 1}, T_2^{\pm 1}$ und Isotopien mit unbeweglicher Krone, die $L$ in $L'$ überführt. Bei Lemma 9.3, lassen sich die Transformationen auch durch eine Isotopie mit unbeweglicher Krone realisieren.

Ein Zylinder $Z$ für die Verkettung $L$ heißt invertiert, wenn $\varphi(D^2\times \{ 1 \}) $ in einer regulären Ebene $R_a$ liegt und $Z$ sich $R_a$ von unten nähert.

Folgerung 9.5. Wenn die Verkettung $L$ in dünner Lage ist, dann läßt $L$ keine invertierten Zylinder zu.

Beweis. Nehmen wir an, daß es einer invertierten Zylinder gibt. Wenn wir die Krone bei 180 Grad umdrehen und einen Zylinder, der streng nach oben geht, zusetzen, bekommen wir nach Lemma 9.4 eine isotope Verkettung mit kleinerer Weite. Das widerspricht der Annahme. Siehe Fig. 3b.

Figure: Zu a: $l_-$ läßt sich zu $l_+$ durch $\partial Y$ isotopieren. Zu b: Umkippen der Krone.
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2750,1500)
\put(0,1500){\special{em:graph bulbef.pcx}}
\end{picture}\end{figure}




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